Originaltext aus dem Jahre 1993 von Hans Reßmann
Der Buschhuhnvater
Wir haben immer wieder von Buschhuhnzucht gehört. Was aber hat es damit für eine Bewandtnis? Nehmen wir gleicheinmal Alfred Muntau unter die Lupe: Er muss wohl so eine Art Wunderkind gewesen sein. Hängt es doch wohl mit dem „Drei-Brezel- und Drei-Kaiser-Jahr“ zusammen, dass er so einmalig war? Er schreibt in seinen späteren, spärlichen Aufzeichnungen: „Bereits im Frühjahr 1894 (sechsjährig) versuchte ich aus freien Stücken von den (aus bei Mutter erbetenen) Bruteiern stammenden Chochinahennen und eines solchen Hahnes diese Rasse zu züchten. Demgemäß begann mein erster Brief im April 1895 (7-jährig) an meine in einer Königsberger Frauenklinik befindlichen Mutter: „Liebes Mütterchen! Das Chochina-Hühnchen hat ein Ei gelegt!“-„. Er begann in seiner ostpreußischen Heimat auf dem großen Wald und Freigelände seines Vaters (also schon als kleiner Junge) Hühner nach seinem besonderen Gefallen zu züchten und hielt allerhand Tiere. Doch einen Kanarienvogel im Drei-Stangen-Bauer oder einen Goldfisch im Glas, an denen ja nichts nennenswert Interessantes zu beobachten war, fand er schon damals auf die Dauer viel zu langweilig, um sie selber halten zu wollen, denn sie bedeuteten für ihn kaum mehr als „etwas zum Besehen“, etwa so wie Tiere im Bilderbuch. Bei ihm mussten die Tiere möglichst viel Freiheit haben und sollten nicht im kleinen Verschlag beschäftigungslos und gelangweilt ihr Leben verbringen. Hauptsächlich erwünscht war ihm die Vermehrung, anderenfalls seine Freude daran und seine Zuneigung allmählich schwand und seine Fürsorge für sie ohne Liebe, nur rein pflichtgemäß war. Hatte doch damals alles Geflügel auf dem Lande in seiner ostpreußischen Heimat noch freien Lauf, während Gemüse- und Blumengärten eingefriedigt waren, sodaß ihm dessen Haltung auf eng begrenztem Raum immer recht bedauerlich erschien und wider der Vernunft. Als nun im Jahre 1911 (23-jährig) seine erstmal selbst gezüchteten äußerst beweglichen Bankiva-Mischlinge im baumreichen heimatlichen Mühlengrund mit Obstgarten, Park und buschbewachsenen Ufern des Flüsschen Weeske zu seiner Freude emsig ihrer natürlichen Nahrung nachgingen, malte er sich so im Geiste aus, wie reizvoll erst diese quicklebendigen Scharrvögel ganz frei im Feldgehölz des angrenzenden Remontedepots auf den Besucher wirken müssten; gerade wie ein Spiegelbild indischer Wildhühner im Dschungel. Voll Begeisterung entwarf er den Plan, ein freilebendes „ostpreußisches Buschhuhn“ (so wollte er es nennen) zu züchten, was sich auch zu allen Jahreszeiten in unseren gemäßigten Breiten zu behaupten vermag. Es lag ihm vor allen Dingen viel daran, dass seine lebenden Erzeugnisse auch tatsächlich fähig waren zu dem Beweis, dass sie in ihren lebensnotwendigen Leistungen einem richtigen Wildhuhn in keiner Weise nachstanden. Aber leider machte der Erste Weltkrieg mit seinen Folgen (Futternot, Schlingenstellen von Kriegsgefangenen usw.) dem erster am 12.3.1913 begonnenden und Mitte Juni 1914 wiederholten recht hoffnungsvollen Ansiedlungsversuch im nadelholz- und dickungsreicher Feldgehölz (wie ihm 1920 bei seiner Heimkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft berichtet wurde) schon im strengen Winter 1916/17 wieder zunichte. Aber als Züchter mit Herz begann er wieder von neuem seinen zweiten Versuch ganz von vorne. Er hatte ja ausreichend Grundbesitz, und auch nach dem Tode seiner Eltern und der Schwester und der Veräußerung seines Besitzes 1923 und Erwerb der 20 Morgen besaß er noch eigenen Grund und Boden, Wenn auch nur wenig. Seine Hühner hatten noch freien Auslauf, und das war ja bekanntlich sehr wichtig. Mehrere Hühnerrassen, aber vor allem Bankiva, Sommerat und Gabelschwanz waren seine Zuchtstämme, die er kreuzte. Das Resultat: Eine Zuchtrasse von ausgesprochenem Wildcharakter mit dem besonderen Liebreiz, welches das Wesen echter Naturgeschöpfe auszeichnet und gerade deshalb auch so manchen naturliebenden Naturfreund nachhaltig zu beeindrucken vermag. Ungemein lauf- und fluggewandt waren seine Buschhühner, ziemlich hochläufig, sehr langschwänzig, von fasanenhaft wildartiger Erscheinung und ausgeprägtem Wildhuhncharakter – auch was Körpermuskulatur und Fleischbeschaffenheit anbelangt. Die von Alfred Muntau gezüchteten Buschhühner haben statt der bei den meisten Zuchtrassen zum Wuchern neigenden, frostempfindlichen, nackten Kopfteile nur noch ein winziges in stark entwickelter Kopfbefiederung eingebettetes Kammhörnchen aufzuweisen und sind kehllappenlos. Daher auch das vogelkopfartige Aussehen. Weitere besondere Merkmale sind ein flach getragener mit sehr langer Steuerfeder und ebensolcher breitfahniger, scharf zugespitzter straff kieliger Beschelung versehener Schwanz, der kelchförmige Halskragen sowie ein tieffroschgrüner Schnabel und gleichfarbigen Läufen; also alles in allem ein außerordentlich reizvolles, ja auch farblich schmuckes Hühnchen mit wohlerhaltenen Naturinstinkten in jeder Hinsicht. Das bedeutet nun ein freies Leben; aber auch Tatbereitschaft zur Selbstbehauptung im Kampf um das Dasein. Und so ist es hierbei einfach lebensnotwendig, dass jede Henne nach Ablage von 8 – 12 blaßgrünen Eiern, 4 – 5 cm. Lang, auch unbedingt zur Brut schreiten muß, wenn die selbständige Arterhaltung in der freien Natur gewährleistet sein soll. Erwähnt werden muß noch, dass das Buschhühnchen im Verhältnis zum Haushuhn klein ist. Soviel zum „Ostpreußischen Buschhuhn“. –
Anerkennung wurde Alfred Muntau schon damals gezollt. So bestätigte 1930 der Fasanenmeister des Grafen Schwerin-Bohrau spontan den hohen Gebrauchswert mit den Worten: „Ihre Ostpreußischen Buschhühner sind unübertreffliche Brüterinnen. Ich habe noch keine besseren gesehen als die kleinen Buschhennen!“ – Prof.Dr.J.Thiemann, damals Leiter der „Vogelwarte Rossitten“, hielt seinerzeit selber einige der muntauschen nachgeahmten Wildhühner frei an seinem Beobachtungsstand an der „Kurischen Nehrung“. Der Tierzüchter und Zoobesitzer Rolf Ismer (heute in Ströhen, Krs.Diepholz- Tierpark Ströhen) war auch so sehr begeistert von seinen Buschhühnern und hatte regen Schriftwechsel mit ihm. Auch der „Zoologische Garten Dresden“ erhielt von ihm 14 Vertreter dieser Rasse, und während des 2.Weltkrieges fragte ein Forstmeister Görings wegen Liefermöglichkeiten bei ihm an. Aber nicht nur Buschhühner züchtete Alfred Muntau, nein, er züchtete auch für Wirtschaftsgeflügelfachkreise die landwirtschaftliche Nutzrasse „Hagedornhuhn“, ein nicht brütendes Dauerlegehuhn mit hagebuttenfarbigem Federkleid sowie noch zwei andere Rasen, deren Namen mir entfallen sind. Es gelang ihm auch die Rekonstruktion der im Herbst 1918 endgültig ausgestorbenen mehrsporigen „Malsbach´schen Goldfasanenkämpfer“, weil der Geheimrat Prof.Heck ihm den noch einzigen reinrassigen Malsbachfasan überlassen hat. Er bekam von dort auch einen australischen Dingo-Rüden zwecks Herauszüchtung des „Buschkleppers“. Damit gelang ihm (1920 – 1945) eine in ihrer ganzen äußeren Erscheinung unverkennbar wildartig wirkende Hunde-Neuzüchtung. Einmal besichtigte Herr Major Most (Breslau) als Zuchtsachverständiger höchst interessiert den Hundebestand. Es wurde Herrn Muntau daraufhin die Einsendung der besten Tiere zur Reichssiegerschau in Berlin (18.10.39) empfohlen, (die kriegshalber aber dann ausfiel) zwecks Antragstellung auf „Anerkennung als eigene Rasse“. Der Bestand wuchs dann von 20 auf 30 Exemplaren. Im Kriege wurde aber die ganze Züchtung zunichtegemacht. Übrigens haben vor dem Kriege je zwei seiner Buschklepper-Hunde (von ihm in Elbing vor dem Hauptpostamt bzw. vor einer Ladentür kurzfristig angeleint) zweimal regelrechter Menschenauflauf, der im ersten Fall zu Verkehrstockung führte, verursacht, weil ihr wildartiges Aussehen auf Füchse hinzudeuten schien und somit eine starke Anziehungskraft auf die Vorübergehenden ausübte – ein augenfälliges Zeugnis für die von Alfred Muntau vollbrachte rasseschöpferische Leistung. Aber als höchste Anerkennung derselben erschien ihm die Frage zweier junger Burschen: „Sind das Hunde?“. Diese drei schlichten Worte, wenn auch nur aus dem Munde zweier ganz gewöhnlicher Straßenpassanten, bedeuteten für Alfred Muntau als geistiger Vater dieser Tiere in der Tat ein wirklich eindrucksvolles, unvergessliches Erlebnis, umsomehr, als seine „falschen Füchse“ ihren inneren Eigenschaften nach gute Gebrauchshunde waren, vor allem zum Herdendienst geeignet. – Ganz angetan von allen seinen Vorkriegszüchtungen waren die Zoodirektoren Prof.Lutz und Prof.Hek (Berlin und Hellbrunn),Dr.Thienemann (Duisbur),Prof.Grzimek (Frankfurt/Main) wie auch Verhaltensforscher Prof.Lorenz (Schloss Buldern/Westf.). Es sei nochmals darauf hingewiesen,daß der eigentliche Anlaß der Originalschöpfungen von Alfred Muntau in dem unbezwingbaren Drang zum Schönen zu suchen ist, während viele der anderen Züchter nur Ausgefallenes, ja sogar Unschönes und Abartiges wählten.
Im Jahre 1939 (Zweiter Weltkrieg) wurde A.Muntau nochmals Soldat und zur Wehrmacht eingezogen.Was dann alles kam, haben wir ja schon erfahren. Nach Krieg, Gefangenschaft,Entlassung,Russeneinfall,Hausbrand,Vertreibung,Flüchtlingslager,Ankommen in Westdeutschland,Umzug von einem Ort zum anderen kam er ja auch noch Hamburg-Langenhorn, wo er als Unentwegter im Jahre 1957 (als Arbeitsloser in einem Wohnlager am Hamburger Flughafengelände hausend) infolge sonderbaren Zusammentreffens verschiedener, recht ungewöhnlicher Umstände, entgegen den eigenen wohlbedachten Überlegungen, dass ein verspäteter Versuch doch jetzt für ihn so gut wie aussichtslos wäre, dennoch auf´s Geratewohl, die nun schon zweimal „verunglückte“ Buschhuhnzüchtung (da leider zu widerstandsschwach, um den ungetümen, spontanen züchterischen Schaffensdrang endgültig entsagen zu können) tatsächlich wieder von neuem begann.Und dieses war nun der dritte Zuchtversuch mit Anlauf ganz von vorne. Nun aber besaß Alfred Muntau (bereits 69-jährig) kein Land mehr und war auf Gnade und Barmherzigkeit auf andere verständnisvolle Mitmenschen angewiesen, die sich leider in den allermeisten Fällen als das Gegenteil erwiesen, obwohl er of Lob und Anerkennung von namhaften Kapazitäten bekam. Dauernd vertrieben und ständig auf Achse im hohen Alter mit seinen vielen Tieren wendete er sich dann schließlich am 28.5.63. an die Schriftleitung von „Wild und Hund“ in Hamburg mit der Bitte um baldmöglichste Aufnahme nachstehenden Inserates in dieser Zeitschrift:
Beachtliches Ausnahme-Angebot!
Unentgeldliche Übereignung von einigen hundert Tieren an einen Wildtierliebhaber und Freund naturnaher Tierhaltung, forschungsfreudig,mit ausreichendem Grundbesitz (Busch und Wald) als zuverlässig-getreuer Erbe meiner einzigartigen fasanenhaften-naturschönen Originalzüchtung „Deutsches Buschhuhn“ von ausgesprochenem Wildcharakter (Bankiwa,Sommerat usw.) – auch stallfrei, winterfest und ortstreu – altershalber gesucht (auch staatliches Forstamt nicht ausgeschlossen) von vielseitig-rasseschöpferisch befähigten Ostpreußen, der ebenfalls unentgeldlich Zuchtleistung übernimmt. Nur ernsthafte Bewerbung erwartet Alfred Muntau, Melkerweg 10, 3282-Steinheim/W. (28.5.63.)
Es muß sich wohl niemand gemeldet haben, oder er muß nichts passendes gefunden haben, denn er zog dann ja bekanntlich im Jahre 1964 nach Lechfeld und 1965 nach Schwabstall. Aus Schwabstall liegt mir noch ein Entwurf eines weiteren umfangreichen Hilferuf-Briefes vor. Er beschreibt die dortigen Zustände, die die ganze Zucht zunichte machen, die primitiven und ungeordneten Verhältnisse (keine warme Unterkunft, keine Möglichkeit zum Wäschewaschen, kein warmes Essen usw.),wobei noch hinzukommt, dass seine körperliche und seelische Verfassung ein dauerndes Alleinsein nicht mehr zulässt. Der Brief endet mit den Worten: „Es sind nun mal baldiger Platzwechsel auf wirklich günstiges Gelände sowie eine anwesende helfende Hand ein ganz unerlässliches Erfordernis!“
Es muß auch nur eine Übergangslösung gewesen sein,wenn er 1966 nach Klein-Klopfach und Anfang 1967 nach Loche/Steinheim übersiedelte.Anfang 1967 muß er dann irgendwie Verbindung aufgenommen haben mit Herrn Cordes Verden Kirchlinteln. Auch Herr Karasch (Fahrschule/Tankstelle)Lindhoperstraße in Verden muß vermittelt haben, denn er war mit Herrn Muntau´s Neffen Werner zur Schule gegangen. Endlich hat er nun ein sehr brauchbares Gelände im Schnuckenstall und in Herrn Cordes, den das Tiermaterial übereignet wurde und wo Alfred Muntau die Zuchtleitung übernahm, einen Förderer seiner Zuchtbestrebungen gefuden. Er ist nun aber schon 79 Jahre alt und sein Lebenswerk, das „Deutsche Buschhuhn“ ( seit der Flucht in den Westen nennt er seine Schöpfung so) nocht nicht ganz zum Abschluß gebracht. Aber er lässt den Kopf nicht hängen, besitzt immer noch Ausdauer und hat noch Mut und sogar Humor und so schreibt er über seine Hühnchen ein Gdeicht, welches beginnt mit den Worten:
„Früh kräht der Hahn, statt auf dem Mist
Im Holz, wenn aufgebäumt es ist.
Gebrat´nes Huhn aus „Schnuckenstall“,
im Busch erlegt, ein Sonderfall!“ …
Nun fehlte ihm aber noch jemand, der ihn betreute. In der „Verdener Aller-Zeitung“ wurden Mieter für den Schnuckenstall gesucht. Im Frühjahr 1967 sind wir dann ja bekanntlich eingezogen. Wir haben zusammen gegessen, wenn es möglich war daußen im Freien. Und wir haben uns so prächtig verstanden – kein Kunststück bei dem rücksichtsvollen, zuvorkommenden, wertvollen Menschen. Wir hatten viele Berührungspunkte, verehrten die gleichen Schriftsteller wie Busch,Keller, Sotrm usw. und waren immer einer Meinung weil wir gleichen Geistes und gleicher Gesinnung waren.Seine Buschhühner waren so einmalig schön, daß man sich darin verlieben konnte. Er hat uns einmal ein paar geschenkt, die nicht besonders zur Weiterzucht taugten. Die haben wir gebraten und waren gespannt darauf, wie sie schmecken würden.Es war ein wahres Festessen, höchster Genuß, dieser kernige Wildgeschmack, dieses herrliche feste Fleisch – überhaupt kein Vergleich mit den sogenannten Haushühnern. Und auch ein paar von den schönen, kleinen, grünen Eiern hat er uns einmal gegeben. Wir haben sie gekocht und gebraten – welch ein unbeschreiblich würziger Geschmack! Wenn die Hühner morgens von ihren Bäumen flogen und sich in den Wald begaben, um sich Futter zu suchen und auch die anderen Tiere dazugesellten (besonders die Perlhühner mit ihrem Geschrei), dann glaubte man im Urwald zu sein. Abends wurden die Tiere dann gerufen, und es wurde zugefüttert. Wenn sich Nachwuchs einstellte, zogen die Hennen dann mit ihren Kücken durch den Wald, und wenn Regen kam oder ein Gewitter aufzog, mussten wir mit Herrn Muntau um die Wette laufen, die Tiere in einen Unterschlupf zu treiben. Nur die Tiere, die zur Zucht ihre Eier legten wurden in großzügigen Ställen gehalten, die Herr Cordes extra bauen ließ. Alfred Muntau betrachtete seine Buschhühner als Gegenpol zu der rein industriellen Intensiv-Hühnerhaltung amerikanischen Stils, im geschlossenen, kleinsten Raum, ohne Bewegung, bei künstlichem Licht, künstlicher Brut und Aufzucht, künstlicher Wärme (in Batterien) mit Kunstfutter, welches ausreichend normal gefütterte Tiere als ungenießbar liegen lassen, bei automatischer Fütterung und Tränke, auf Maschendraht stehend nebst Fließbandbedienung zwecks hochrentabler Massenproduktion, unter weitgehendster körperlicher Ausnutzung jedes Individuums,was alles für Naturgeschöpfe völlige Degradierung und Versklavung bedeutet, d.h.ein grausames Ende naturgewollten Eigenlebens.Dieses alles war ihm zutiefst verhaßt, nachdem er einmal Gelegenheit hatte, eine Großfarm zu besichtigen – Wenn Alfred Muntau trotz seines Alters ( 80 Jahre) wie ein Besessener arbeitetete, so hatten Eingeweihte oft das Gefühl, dass er es nicht mehr schaffen würde trotz seines unbeugsamen Willens, die Zucht zu vollenden. Und so kam es dann auch. Nach dem halben Jahr des schönen Aufenthaltes unsererseits im Schnuckenstall und des Zusammenseins mit Alfred Muntau, zogen wir dann nach Daverden, um das besagte Geschäft zu übernehmen. Wir schieden schweren Herzens, denn wir waren richtige Freunde geworden. Ich vergesse nicht, auf welche Art und Weise Alfred mir das „Du“-Wort anbot. Eins Tages (ich kam gerade von der Tour zurück) begrüßte er mich, gab mir die Hand und sagte mit leiser,verlegener,zittriger Stimme: „Mein lieber Hans , nur wenn Du unbedingt darauf bestehst, sage ich noch länger „Sie“ zu Dir!“ Ich war sprachlos und überrascht – das war typisch Alfred Muntau. Ich habe ungewohnt und zaghaft, später um so eifriger Gebrauch davon gemacht! Das war eine besondere Ehre für mich Alfred Muntau gegenüber. – Eines Abends (es war schon Herbst und Laternenlaufzeit),haben meine siebenjährige Tochter Agnes und ich uns mit zwei Lampions bewaffnet und sind an Alfred Muntau´s Zimmer, in dem schwaches Licht brannte (Kerze) und in dem er noch seiner Beschäftigung nach Feierabend nachging (Schriftstellern, Dichten, Briefe schreiben) vorbeigelaufen und haben gesungen: „Lapuster, Lapuster, im Keller ist es duster. Herr Muntau kann das Licht nicht finden und fällt vor Schrei ins Kellerloch rein!“ Das hat uns einen Heidenspaß gemacht. Dann sind wir noch ein Stück in den Wald gegangen, haben die aufgebäumten Tiere gestört, die zu schreien und krakelen anfingen, und als wir zurückkamen, stand Alfred Muntau auf dem Hof mit einer Stalllaterne und wollte mit uns ziehen. – Einmal wollte ich morgens auf Tour, fuhr mit dem Lieferwagen vom Hof und durch den Wald; aber merkte nicht, dass unser Hund, der Purzel, der auch von Alfred Muntau heiß geliebt wurde, mir nachlief. Alfred Muntau, meine Frau,auch meine Tochter haben stundenlang alle Wege im Wald abgelaufen, gerufen und gesucht. Sie fanden ihn nicht. Als ich abends wieder zum Schnuckenstall fuhr, sah ich den Purzel an der Landstraße am Eingangsweg zum Wald stehen, freudig mit dem Schwanz wedelnd. Ich hielt an, öffnete die Tür, und der Purzel sprang freudestrahlend hinein, und wir kamen zusammen daheim an. Den ganzen Tag hatte der liebe Purzel, ein Mischling,auf mich gewartet und geduldig ausgeharrt. Alfred Muntau,meine Frau und Tochter machten große Augen, und auch die Muschi begrüßte uns.Das war wahre Treue eines Hundes! Hätte das auch ein Mensch fertiggebracht? Vielleicht meine Frau oder ein Alfred Muntau! – Nun nahte aber mit schnellen Schritten das Ende der schönen Zeit im Schnuckenstall. Das Abschiednehmen von unserem geliebten Alfed Muntau fand bald schweren Herzens statt. Wie gesagt,wir zogen dann aus, und Alfred Muntau war dann wieder alleine. Es fand sich dann noch eine Frau, die kurzfristig in unsere Wohnung zog, ihn auch versorgte aber nicht lange blieb. Dann kam noch ein Mann in´s Haus,ein ungehobelter Klotz, mit dem Alfred Muntau nicht zurecht kam. So wurde er denn krank ,kam in´s Verdener Krankenhaus und verstarb dann,(wie schon erwähnt) in Bad Mainberg (Vahlhausen) bei seinen ostpreußischen Freunden und Gesinnungsgenossen Kurt und Elise Blandau, geb.Wende, den Kindern von seinem verstorbenen Freund Arthur Wende. Dort liegt er nun in einem gemeinsamen Grab neben seinem Freund – der alte ostpreußische Torfheide,Buschklepper und Buschhuhnvater, wie er sich selber nannte. Kurz vor seinem Tode schreib er mir noch,dass er bei seinem Scheiden aus dem Schnuckenstall noch bei Herrn Cordes für mich einen Buschhahn und zwei Buschhühner gekauft und bezahlt hätte, damit ich ein Andenken an ihn habe. Diese Tiere habe ich aber nie abholen können, da ich keinen Platz, keine Zeit und Möglichkeit zur Zucht hatte. Ich habe mich bedankt und ihm geschrieben, dass ich seine Zucht nach geraumer Zeit, wenn ich die Möglichkeit hätte,weiterführe, damit sein Werk vollendet wird. Ich wusste, dass ich das –jedenfalls zur damaligen Zeit- nicht konnte. Aber als sterbenskranker Mann hat er sich gefreut.
Im Schnuckenstall wurde von jüngeren Leuten die Zucht noch vorläufig weitergeführt – worüber er sich auch freute -; aber leider nicht mehr in seinem Sinne und mit seiner Sorgfalt. Es gibt noch Buschhühner irgendwo aus seiner Zucht, und auch in Süddeutschland werden noch Hühner von ihm weitergezüchtet. Ich bin jetzt Rentner und werde versuchen, mir noch ein paar Exemplare zu besorgen als Andenken an Alfred Muntau. Ob es noch mal zum richtigen Freiwild-Buschhuhn kommt, bezweifle ich. Denn solch ein Könner, ein wahres Naturtalent wie Alfred Muntau wird es wohl nicht mehr geben, denn Idealisten sterben aus! Sehr schade!
Dem Leser dieser Zeilen möchte ich noch etwas zumuten: Ein Beispiel eine Muntau´schen Endlossatzes, damit er sich ein Bild machen kann von dem Geisteszustand seines 80-jährigen Schöpfers bzw. von der Länge eines solchen Satzes. In seiner Abhandlung „Besinnliche Betrachtung“ schreibt er über das Buschhuhn unter anderem: „Demgemäß ist auch nun das „Deutsche Buschhuhn“ in seinem Gesamtbild zweifellos sinnfälliger Ausdruck des in dem noch innig naturverwurzelten „Ich“ seines „geistigen Erzeugers“ zur freien Entfaltung gekommenen Schönheitsbegehrens (d.h.aus seinem erbgutbedingten, also natürlichen (dogmenfreien) individuellen Götterleben geboren) wie ja auch jedes züchterische (Tier – Pflanze) und technisch-konstruktiv geschaffene „echte Kunstwerk“, (also auch Gestaltungs-,Mal-,Dicht-, Tonkunst betreffend) gleicherweise, während jedwede bewusst vorgesehene Zweckanpassung und –verfolgung ( sei dies auch rein ideeller oder ethischer Art ) das intuitiv-spontane rückhaltslos frei und wahr In-Erscheinungstreten-Wollen der dem von jederlei „Beeinflussung“ freien „Ich“ des Schaffenden innewohnenden eigenständigen schöpferischen Gestaltungskunst zwangsläufig versklavt und verzerrt, wodurch solch ein derartig vergewaltigter Seelenspiegel dann natürlich seine wahrhafte „Ich“-Echtheit nebst Spontanität gängzlich einbüßen muß und es unweigerlich zur Fehlgeburtsgrimasse eines „vernunftgeborenen Kunstwerkes“ herabsinkt, von dem niemand so recht weiß, wess´Geistes Kind es sei, nachdem zweckdienliche eigene oder gar fremde Überlegungen dabei Geburtshilfe geleistet haben, denn ein „echtes Kunstwerk“ nämlich kann nie und nimmer der innerseelischen Selbständigkeit und Unbeirrbarkeit seines Schöpfers entbehren, denn ebenso wie beim Kunstgenuß gefühlvolles Mitschwingen der eigenen Seele auf beliebige Mitmenschen übertragen oder sozusagen denen „beibringen“ lässt, lässt sich jenes auch niemals etwa in Anlehnung an das vorbildliche Musterexemplar eines „gottbegnadeten Meisters“ zur Welt bringen, weshalb auch alle wohlmeinenden Bemühungen ganz abwegig, etwa allgemeinem Publikum das „richtige Kunstverständnis“ (womöglich gar noch für einen gerade modernen „Stiel“) anerziehen zu wollen, denn gerade umgekehrt und dazu noch sogar naturgesetzlich richtig heißt´s doch im Volksmund so treffend: „Wat den eenen sein Uhl, ös den annern sein Nachtigall – Wie in Kunsthall, Fachschul´, so erlebt man´s im Hühnerstall-, und gerade in dieser Hinsicht macht das gerne ein freies Leben führende Buschhühnchen am allerwenigsten eine Ausnahme, denn aufgrund de aus diesen gründlichen Darlegungen gewonnenen klaren Einblicks in dessen Entsteheungsgeschichte dürfte unsere Deutsche Jägerschaft wohl auch keinen Anstoß daran nehmen, wenn ihr jetzt ausgerechnet von solch jagdunkundigen „alten Torfheiden“, der es in seinem Leben höchstens bis zum (wenn auch durchaus ehrsamen) „Schürzenjäger“ gebracht hat (bei allem guten Willen aber hat zeitlebens einsam bleiben müssen), ein von ihm kunstgerecht zusammengebastelter, zum Leben in der freien Natur nicht so ganz ungeeigneter „Kammhuhn-Wildling“ zwecks praktischer Erprobung und Auswertung bescheidentlich vorgeführt wird.- denn ein blindes Huhn find´t auch malßn Korn, liegt das nicht hinten sondern vorn!“ – Ja, holen sie tief Luft! – Der Satz war lang – und so geistreich – Alfred – Du bist einmalig! –
„Des Liebhaber-Tierzüchters wirkungsvollste – inneren Wahrheits- und Freiheitsdrang befriedigende – Grunderkenntnis; als belebender Anreiz zu eigenem Nachsinnen, gerade für besonders „Hellhörige“, die noch naturvertraut und tierweltverwachsen sind, empfehlenswert, ferner als persönlicher Nachlaß für liebe Verwandte und gute Freunde gedacht, jedoch ehrlich überzeugten Bibelgläubigen demgemäß keinesfalls zumutbar.“-
So steht es von Alfred Muntau über folgendem Gedicht:
Liebhaberzüchter sollten wissen
Ihr Augenmerk darauf zu richten,
dass sie im Jenseits würden müssen
auf die Tierzucht jeder Art verzichten
Wess´Hirn noch frei von Dogmenschimmel
Würd so – vor Schrecken starr – erkennen,
daß selbst im Freudenreiche „Himmel“
sie nie glückseelig werden können.
Im Paradies nichts drin von Tieren?
Weh tät dann Jubeln rings und Freuen.
Das ging´ verdammt doch an die Nieren.
Das ew´ge Sein müsst man bereuen.
Denn ständig Tierzucht schmerzlich missen
Ließ ew´ge Seelenqual ohn´ Zweifel.
Solch´ himmlisch´ Leben wär´ beschissen!
Kotz, Kreiz –zum Henker- hol´s der Deibel!
Reaktion auf den Reiz durch den Schlußvers einer mir vom Vorstand des Geflügelzuchtvereins Hildesheim zu den Festtagen vor dem Jahreswechsel überreichten Glückwunschkarte: „Viel Glück und Gut Zucht 1965 !“ lautend:
„Nutze das Leben – gar kurz ist die Zeit!
Vielleicht hat schon morgen der Tod Dich gefreit.
Drum züchte man weiter und folge dem Rat,
weil man im Jenseits kein Geflügel mehr hat!“
Mit freundlicher Genehmigung der Fam. Blandau/Grabbe und Reßmann/Schröder